Sonntag, 27. November 2011 (22:42 Uhr)

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Gedenken an die Pogromnacht – “Die Generation der Zeitzeugen gehe zu Ende.”

Gedenken zum 73. Jahrestag der Pogromnacht am Weihnheimer Mahnmal.

Weinheim, 11. November 2011. (red/pm) Weinheim gedachte mit einer Lesung der Pogromnacht am 9. November 1938. Gut 60 Zuhörer hatten sich im Sitzungszimmer im Weinheimer Rathaus eingefunden. In seiner Ansprache sagte Oberbürgermeister Heiner Bernhard: „Antisemitismus ist immer noch eine Gefahr“.

„Eigentlich will Lene nur in Frieden und Freiheit leben – so wie die Eidechsen im sonnenwarmen Gras des Weinheimer Burgberges. Und doch muss sie nun immer deutlicher erkennen, dass sie und ihre jüdische Familie plötzlich unerwünscht und nahezu ohne alle Rechte sind.“ So steht es in dem Buch „Lene – Damit man mich nicht sieht“, das die Wiener Journalistin Ingrid Brand in den zwei Jahren geschrieben hat, in denen sie in Weinheim wohnte. Die Geschichte, fiktiv aber realistisch, eines jüdischen Mädchens, das in Weinheim und Mannheim den Holocaust überlebt hat, stand jetzt im Mittelpunkt der Weinheimer Gedenkstunde an die Pogromnacht des 9. November 1938.

Das Buch handelt davon, wie sich Lene, nachdem ihre Mutter am 22. Oktober 1940 in das Internierungslager Gurs abtransportiert worden war, im Hinterzimmer einer befreundeten Familie versteckt und den Krieg übersteht.

Weil die Autorin selbst krankheitsbedingt den Weinheim-Besuch kurzfristig absagen musste, sprang der Weinheimer Kommunalpolitiker und Buchautor Dr. Alexander Boguslawski ein und las ein paar eindrückliche Kapitel aus „Lene – Damit man mich nicht sieht.“

Die Tage des Staatsterrors vom 9. bis 11. November 1938, so Weinheims Oberbürgermeister Heiner Bernhard, markierten den Übergang von der Diskriminierung der deutschen Juden seit 1933 zur systematischen Verfolgung, die in den Holocaust mündete.

Alexander Boguslawski liest aus "Lene - Damit man mich nicht sieht".

Er erinnerte daran, dass vom 7. bis 13. November 1938 etwa 400 Menschen ermordet oder in den Selbstmord getrieben wurden. Mehr als 1400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört.

Die wegen der zerstörten Schaufensterscheiben bald als „Reichskristallnacht” bekannt gewordenen Ausschreitungen waren bis dahin der Höhepunkt eines seit der Machtübernahme 1933 herrschenden, immer stärker werdendenstaatlichen Antisemitismus.

Antisemitismus – “eine Gefahr für die Werte der Demokratie”

Der Oberbürgermeister mahnte, es dürfe auch mehr als 70 Jahre danach nicht geschehen, „dass wir die Vergangenheit ruhen lassen und den Blick ausschließlich nach vorne richten“. Antisemitismus sei auch heute noch ein ernstzunehmendes Problem in Deutschland, eine Gefahr für die Werte der Demokratie und die Achtung und Wahrung der Menschenrechte.

So sei der 9. November beides: Die Erinnerung an die Ereignisse des Jahres 1938 und die Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus heute. Er erinnerte eindrücklich daran: “Die Generation der Zeitzeugen gehe zu Ende.”

Der Oberbürgermeister: „Wir dürfen ihre Erlebnisse und Erfahrungen aber nicht nur als Geschichte betrachten. Unsere Aufgabe ist es, über die Vergangenheit so zu sprechen, dass wir der Jugend die Verantwortung vermitteln, gegen jede Wiederholung aufzutreten.“

Lene steht stellvertretend für Abertausende von Kindern

Die Buchfigur Lene spreche dabei stellvertretend für Tausende und Abertausende ungerecht behandelter, diskriminierter und verfolgter Kinder, “von gestern, heute und morgen”.

Er forderte: „Lassen Sie uns das gleiche Recht auf ein freies, ungehindertes Leben, auf Achtung und Respekt zur Handlungsmaxime machen und die Herausforderung immer wieder aufs Neue annehmen und gegen Rassismus, Extremismus und Antisemitismus eintreten.“

Deshalb sei es auch aktuell wichtig, sich für ein besseres Verständnis der Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen in unserer Gesellschaft einsetzen. Die aktuelle Diskussion zum Thema Integration mache deutlich, dass es noch enormen Handlungsbedarf gebe. Bernhard: „Integration wird eine Zukunftsaufgabe bleiben.“

Im Anschluss an die Lesung gedachten die Teilnehmer der Gedenkfeier in einer Schweigeminute am Mahnmal für die nach Gurs deportierten jüdischen Bürgerinnen und Bürger Weinheims im Schlosshof. Viele der Anwesenden stellten eine brennende Kerze vor dem Mahnmal ab. Es war eine bewegende Zeremonie. Es war ganz still.

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