Dienstag, 06. Dezember 2011 (02:41 Uhr)

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Stuttgart 21: Das Volk sind wir alle und wir stimmen ab – nach “Stimmung” und nach “Wissen”

Rhein-Neckar, 26. November 2011. Rund 7,5 Millionen Baden-Württemberger haben am morgigen Sonntag eine historische Chance. Sie dürfen als Bürgerinnen und Bürger ihren Willen bekunden. Und die “repräsentative Demokratie” der gewählten Volksvertreter hat versprochen, sich an das Votum zu halten. Man darf gespannt sein. Auf das Ergebnis und die Einlösung des Versprechens. Die Volksbefragung entscheidet über das Bahnhofsprojekt Stuttgart 21. Und über unsere Zukunft.

Von Hardy Prothmann

Ich richte als verantwortlicher Redakteur ein persönliches Wort an Sie, liebe Leserinnen und Leser.

Das ist ehrlicher als irgendein sowohl-als auch-Bericht, der letztlich scheinbar “objektiv” daherkommt und bei vielen Medien in Hinterzimmergesprächen schon vorher entschieden worden ist.

Hardy Prothmann ist verantwortlicher Redakteur für dieses Angebot. Er wird morgen mit Ja für den Ausstieg aus Stuttgart 21 stimmen: "Es gibt für mich keine überzeugenden Argumente für Stuttgart 21. Ganz im Gegenteil erwarte ich für unsere Region erhebliche Nachteile im ÖPNV. Und aus Prinzip muss diese Art von faktenschaffender Hinterzimmerpolitik endlich mal eine deutliche Antwort der Bürger erhalten. Ich bin nicht länger bereit, mich von Verfassungsbrechern wie einem Herrn Mappus (CDU) oder Informationsunterdrückern wie einem Herrn Oettinger (CDU) auf den Arm nehmen zu lassen."

Wir Bürgerinnen und Bürger sind morgen aufgerufen, über ein Projekt zu entscheiden, das das Land spaltet. In Befürworter und Gegner. Und wir sind aufgerufen, uns zu dem einen oder dem anderen Lager zu schlagen.

Diese Logik ist beschämend und unwürdig. Leider kann man kein drittes Kreuz machen. Etwa: Fangt nochmal von vorne an.

Man muss sich entscheiden. Dafür oder dagegen. Und selbst das ist kompliziert. Wer gegen Stuttgart 21 ist, muss für das Ausstiegsgesetz stimmen, wer für Stuttgart 21 ist, dagegen.

Das ist so absurd, dass man als erstes eigentlich gegen diesen Schwachsinn stimmen wollte. Doch der Schwachsinn heißt bei uns Verfassung. Er regelt, wie wir sein sollen. Er regelt nicht, wie es besser sein könnte. Nach dem gesunden Menschenverstand. Wenn ein Ja ein Nein bedeutet und umgekehrt, müsste selbst der dümmste Politiker verstehen, dass was schief läuft. Das ist aber leider nicht der Fall.

Die Entscheidung zu Stuttgart 21 ist längst ein “Glaubenskrieg”. Angefacht von Politikern, die uns Bürger als Brüder und Schwestern gegeneinander aufstacheln. Das ist nicht richtig. Das ist falsch. Und das muss korrigiert werden. Eine Politik, die auf das “Gegeneinander” von Interessen setzt, ist nicht richtig, sondern falsch und hat keine Zukunft.

Genauso falsch ist der scheinbare Konflikt zwischen repräsentativer Demokratie und direkter Demokratie. Niemand kann ernsthaft zu jeder Kanalsanierung einen Bürgerentscheid fordern. Das tut auch niemand. Aber das wird behauptet.

Niemand darf sich wundern, wenn große Bauvorhaben ohne echte Bürgerbeteiligung Widerstand erzeugen. Aber es gibt viele Politiker, die sich wundern.

Stuttgart 21 ist das Paradebeispiel einer bürgerfernen, sturen und konfliktorientierten Politik, die Baden-Württemberg und seinen Menschen viel Schaden zugefügt hat.

Deswegen empfehle ich Ihnen, egal ob Befürworter oder Gegner, bei der Volksabstimmung mit Ja zu stimmen. Also für den Ausstieg aus dem Projekt Stuttgart 21.

Denn dieses Projekt ist vergiftet. Durch bürgerferne Entscheidungen, Lügen, Betrug, Unwahrheiten und haltlosen Versprechungen.

Ein Ja zum Ausstieg wäre ein eindeutiges Votum gegen diese maroden Zustände, die unser schönes Baden-Württemberg in zwei Lager teilt, obwohl doch die Menschen an einem Strang ziehen sollten.

Ganz klar, ein Ja bedeutet einen finanziellen Verlust. Die Gegner sagen 350 Millionen, die Befürworter 1,5-2,5 Milliarden Euro. Ganz ehrlich? Wer eine Spanne von 1.000 Millionen Euro nennt, kann nicht ernst genommen werden. Das hat mit “Kalkulation” nichts zu tun, sondern nur mit Propaganda.

Auch die Gegner machen Propaganda. 350 Millionen? Meist wird es teurer. Nehmen wir die Mitte, also 700-900 Millionen Euro. Das ist für jeden von uns unvorstellbar viel Geld – angesichts der Wirtschaftskraft Baden-Württembergs ist es ein kleiner Prozentsatz unserer Leistungsfähigkeit. Der finanzielle “Verlust” ist zu “verschmerzen”.

Überhaupt nicht zu verschmerzen ist der politische Verlust. Die Befürworter konnten nicht überzeugen. Angeblich immer gut gerechnet wurde das Projekt teurer und teurer. Und immer wieder neu auftauchende Dokumente belegen, dass wir Bürgerinnen und Bürger betrogen worden sind. Vorsätzlich. Fortwährend.

Wer gegen das Ausstiegsgesetz stimmt und also für Stuttgart 21, der bestimmt nicht nur über einen Bahnhof, sondern über ein System aus Lug und Trug. Und sollte dieses System “gewinnen”, betrügt und lügt es weiter.

Sollte die Sensation gelingen und das alte System verlieren, gibt es die Chance auf einen Neuanfang. Auf repräsentative Demokratie, die sich im Zweifel dem Votum der Bürger außerhalb von Wahlperioden stellt und damit solche beklemmenden Konflikte wie zu Stuttgart 21 verhindert.

Das wäre ein schöner Traum. Aber einer, an dem man mitwirken kann. Wir alle können daran mitwirken, Politik zu verpflichten und die Verpflichtung zur Politik zu machen.

Die neue Landesregierung ist zerrissen. Die alte war am Ende. Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus ist ein Verfassungsbrecher. Gibt es ein schlimmeres Urteil über einen “Landesvater”? Wohl kaum.

Wenn Sie das alte System bestätigen, was Ihr Recht ist, stimmen sie für einen nicht-lösbaren Konflikt. Stuttgart 21 wird Baden-Württemberg spalten. Nicht in Baden und Württemberg, sondern in Wut und Trotz. Und daran nehmen wir alle Schaden.

Wenn Sie für den Ausstieg stimmen, dann vor allem für eine Ausstieg aus der Verkrustung und für den Einstieg in eine neue Politik, die sich beweisen muss.

Ob der Politik das gelingt, ist die entscheidende Frage. Aber im Gegensatz zum verfilzten System ist es die einzige Chance.

Sollte es eine Mehrheit für den Ausstieg geben, dann erfolgt daraus gleichzeitig eine Verpflichtung an die aktuelle Grün-Rote Regierung, es besser zu machen, als die Schwarz-Gelbe.

Sollte diese Chance nicht genutzt werden, kann man die neue Regierung zum Teufel jagen und hat nichts verloren. Man kriegt den alten Teufel wieder.

Vielleicht ist es aber auch wünschenswert, das sich die Mehrheit für Stuttgart 21 ausspricht.

Sollten die Versprechungen aber nicht eintreffen und sollte alles viel teurer werden, dann sollten sich die Befürworter für eine sehr lange Zeit zurückziehen. Doch das wird auch nicht passieren.

Ich empfehle Ihnen, für den Ausstieg zu stimmen und einer neuen Politik eine Chance zu geben. Damit üben Sie einen enormen Druck aus. Also eine wirkliche politische Macht. Die Grün-Rote Regierung muss dann beweisen, dass es besser geht, als bisher.

Wenn Sie gegen das Gesetz und für Stuttgart 21 stimmen, bleibt alles beim alten und hinterher, wie üblich, wills keiner gewesen sein.

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