Guten Tag!
4. April 2011. Verläuft das Leben gleichmäÃig und ohne groÃe Ãberraschungen, wiegt man sich in Sicherheit. So kann es bleiben, so ist es gut. Gelegentlich jedoch wird der Mensch leichtsinnig und setzt die geliebte Ordnung aufs Spiel. Beispielsweise dann, wenn Kinder vorhanden sind und man plötzlich auf den Hund kommt.
Von Marietta Herzberger
Die grundsätzliche Aussage, welche nach zwölf Jahren tierloser Ehe zu treffen ist, und bis heute unverrückbare Gültigkeit hat und von mir niemals in Frage gestellt wurde, ist folgende: Ich bin eine glückliche Ehefrau. Mein Mann ist nicht einfach nur mein Mann, sondern auch Partner, guter Freund und gelegentlich auch Leidensgenosse. Aber das ist eine andere Geschichte. Wir sind ein eingespieltes Team und stolze Eltern eines liebreizenden, gelegentlich aufmüpfigen Kindes mit Namen Ella.
Wir bewohnen ein Haus im behaglichen Weinheim. Ruhige Lage und erstrebenswerte Spucknähe zur Autobahn inklusive. Möchte ich mit der StraÃenbahn fahren, benötigt es lediglich ein paar leichtfüÃige Schritte rechts aus unserer Haustüre heraus und - rein ins Gefährt.
Zur Bushaltestelle wende ich mich leicht nach links. Das ist praktisch. Nur nachts nicht. Da nämlich stört das Bimmeln der OEG-Ampel-Warnanlage, das uns alle halbe Stunde mitteilt, dass die Zeit bis zum Weckerklingeln nahe rückt. Wir haben uns daran gewöhnt und schlafen mit Ohrstöpseln. Das blecherne Surren der Schranke, das ertönt, wenn sich diese herablässt und nach einigen Minutenâ untermalt vom Bimmeln â wieder öffnet, versuchen wir noch irgendwie in unsere Träume einzubauen.
Träume vom Transsibirien-Express
In einer dieser schlaflosen Nächte hatte mein Mann die rettende Idee: âSchatz, lass uns vom Transsibieren-Express träumen. Da lässt sich das Bimmeln so schön einbetten.â Ich fand âeinbettenâ gut und passend. Seitdem steigen wir ab Einbruch der Dunkelheit beseligt ins Bett und treten unsere gemeinsame Reise an, bis es wieder hell wird.
Unsere Nachbarn sind gröÃtenteils netter, aufgeräumter Durchschnitt und jeder pflegt seinen kleinen Reihenhausgarten mit Hingabe ohne bieder zu sein. Nein, nicht ganz. Am Ende der StraÃe wohnt ein älteres Ehepaar. Dieses ist stolzer Besitzer eines übersichtlichen, mit Inbrunst gepflegten Vorgartens, der sicherlich drei Bierkästen fasst und geometrisch einwandfrei mit kleinen, akkurat rund geschnittenen Buchsbaumkügelchen bestückt ist.
Damit dieses Kunstwerk niemand zerstört, wurde ein Stahlzaun in unauffälligem Braun, welches vorzüglich mit dem Altrosa des Hauses harmoniert, darum gezogen. Aber auch diese Nachbarn sind angenehm höflich und bis auf den Gartenzaun noch nicht straffällig geworden.
Kommt Zeit, kommt Wandel
Auf den Hund gekommen?
Wir sind also, wie schon gesagt, eine glückliche, kleine Familie. Ganz die Norm, nichts AuÃergewöhnliches. Nett, normal, beruhigend.
âIhr seid so herrlich normalâ, beneidete mich jüngst eine Freundin. Ich gebe ihr Recht. Allerdings hat sie nett und beruhigend vergessen. Bei Gelegenheit werde ich sie darauf ansprechen.
Doch zu einer Zeit des Wandels bestimmte meine kleine sanfte Tochter unerwartet energisch: âMama, ich will ein Haustier!â
So ist das eben. Wenn die Zeiten pädagogisch wertvollen Spielzeugs vorbei sind, sucht man nach anderen Dingen.
Diverse Forschungen belegen, dass Kinder mit Haustieren, vor allem mit Hunden, über eine gröÃere soziale Kompetenz verfügen und schneller bereit sind, Verantwortung zu übernehmen, als Kinder ohne direkten Tierbezug.
Sie sind meist bewegungsfreudiger, zugleich ruhiger und ausgeglichener. Sie sind also zu Unzeiten gedämpft aktiv und das kann bisweilen erstrebenswert sein. AuÃerdem ist erwiesen: Einzelkinder können vereinzelt Defizite im Sozialverhalten aufweisen. Auch reiben sie sich nicht an Geschwistern, sondern an den Eltern, vorzugsweise an der Mutter. Im Prinzip war ich bereits überredet.
âUnd was schwebt dir da vor?â wollte ich von meinem blauäugigen Kind wissen.
âEin Pferd!â
âEin Pferd ist kein Haustier!â widersprach eine männliche Stimme hinter dem Computer.
âIst es doch! Es kann im Garten leben!â
âWie wäre es mit einer Katze?â warf ich ablenkend in die Runde. âSchatz!â, vorwurfsvoll wandte sich der Vater unserer Tochter mir zu, âdu weiÃt, dass ich allergisch gegen Katzen, Hasen und Meerschweinchen binâ¦!â
âMir egal!â brüllte es jetzt von dem tierlosen Einzelkind, âIch (!) bin aber nicht algerisch! Papa kann ja ausziehen!â
âIch ziehe nirgendwo hin. Soweit kommt es nochâ¦!â
Schmollend pulte unser kleiner Sonnenschein mit dem groÃen Zeh Löcher in den Teppich. Während ich verzweifelt grübelte, welcher tierische Artgenosse in Frage kommen könnte, zupfte mich etwas am Ãrmel.
“Wenn Papa tot ist, krieg ich dann einen Hasen?”
“Du Mama, wenn der Papa tot ist, krieg ich dann einen Hasen?â
âJa klar, dann kriegst du einen Hasen, SüÃe.â
Mein Herzblatt schaute mich dankbar an. Warum? Was hatte ich gerade gesagt? Was lautete noch gleich ihre Frage? Katze? Hase? Wer ist tot? âPapa?â, säuselte unser Liebchen zart, âwann stirbst du denn?â
âDu stirbst?â, irgendwie hatte ich den Faden verloren. Ella schaute ihren Vater durchdringend an. Ja, fast schon hypnotisch. Offenbar erwartete sie nun, dass ihr Erzeuger tot vom Stuhl fallen würde. Der beschloss jedoch spontan, jetzt noch nicht abzutreten, trat stattdessen zu uns an den Tisch und gab seinem Unmut lautstark Raum: âSeid ihr noch zu retten!?â
Ich versuchte, das Gespräch weg von Tod und Teufel auf ein anderes Gleis zu lenken: âEin Fisch wäre toll, oder? So ein Nemo in einem Glasâ, und lächelte gleichzeitig versöhnlich meinem Mann zu: War nicht so gemeint, verzeihst du mir?
âNemo ist doof!â
âEine Mausâ, kam der männliche Vorschlag. Er zwinkerte zurück: Weià ich doch, schon okay.
âMaus ist auch doof!â
âHamster?â, warf ich träge in die Runde.
âTotal blöd!â
Eine Weile saÃen wir uns schweigend gegenüber und suchten nach Alternativen. Doch weder FuÃboden, Geheimschublade noch Zimmerdecke gaben etwas Brauchbares her. SchlieÃlich, sich endlos ziehende zweieinhalb Minuten später, fand unsere Tochter als erste eine neue Idee: âEin Hund?â Sie verblüffte mich mit ihrer Raffinesse, die sie natürlich von mir hat, und richtete diese Frage mit engelsgleichem Blick an ihren Vater: âEinen Hund, Papa. Bitte, bitte, bitte.â
Fünfundzwanzigtausend Mal “Bitte”
Alle âBittesâ hier aufzuzählen würde zu weit führen, also belasse ich es bei drei. Es waren aber deutlich mehr. Gefühlte Fünfundzwanzigtausend.
Mein Mann und ich schauten uns skeptisch an. Ein Hund. Dreimal am Tag Gassi. Fusselige Haare im ganzen Haus. Ein dreck- und fellverlierendes, sabberndes Betteltier, welches unserer klinisch reinen Ella genieÃerisch das Gesicht ableckt, wenn wir gerade nicht hinsehen? Konnten wir uns vorstellen, gelassen und heiter zu bleiben, wenn unser Goldlöckchen einträchtig mit einem verfressenen Kläffer vor dem Napf sitzen würde und die beiden sich das Trockenfutter teilen? Und überhaupt, was so was kostet!
In stiller Ãbereinkunft nickten wir uns zu. Wer von uns würde den, nach sorgfältigem Abwägen getroffenen Beschluss dem kleinen, voll banger Erwartung erstarrten Wesen überbringen?
Seufzend falteten wir die Hände. Ellas Augen wuchsen auf die GröÃe von Billardkugeln. Sie krallte sich in die Stuhllehne, während sie heiser flüsterte:â Ein Hundâ¦bitteâ¦ein kleiner Hundâ¦nicht vielâ¦.sooo klein!â Sie formte mit ihren Händen und Fingern sowas in der GröÃe wirklich sehr, sehr kleinen Hundes.
âAlso, wenn, dann ein richtiger Hund! Mit so einer StraÃenratte kann ich nichts anfangenâ, brummte mein geliebter, weiser Mann und zwinkerte unserem siebenjährigen Wonneproppen zu.
Ich richtete mich zu voller SitzgröÃe auf, um dem Begeisterungsturm standhalten zu können, der nun eigentlich folgen musste. Gespannte Vorfreude lieà uns Eltern erzittern. Gleich würde sie uns um den Hals fallen, Freudentränen ihre unverdorbenen Wangen benässen.
âIch dachte schon, ihr könnt euch nie entscheidenâ, unser ausgesprochen wohlgeratener Sprössling verdrehte kurz die Augen, sprachs, stand auf und stellte ungerührt fest: â Ich hab Hunger. Wann gibtâs Essen?â
âGleich!â, hauchte ich mütterlich gefasst.
âWas gibt es denn?â
âHot Dogs!â
Marietta Herzberger.
Anmerkung der Redaktion: Marietta Herzberger lebt in Weinheim und schreibt in ihren Kolumnen über den ganz normalen Wahnsinn des Alltags. Erfundene Geschichten, in denen doch das eine oder andere wahr ist. Die Personen gibt es meistens, manchmal nicht. Mal ist es, wie beschrieben, mal gnadenlos überzogen. Es sind keine “journalistischen” Texte mit dem Anspruch auf Faktentreue, sondern Lesetext mit dem Ziel, Lesefreude zu verbreiten. Sie hat jede Menge Weisheiten gerne, zwei sind: “Machen Sie sich erst einmal unbeliebt, dann werden Sie auch ernst genommen” – Konrad Adenauer. Und: “Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren” – Bertolt Brecht. Wir wünschen unseren Lesern viel Lesespaà mit ihren Texten!
Mal wieder eine Super-Geschichte. Immer wieder schön zu lesen. Ich freu mich schon auf die Nächste
Und ? Marietta, wer geht denn nun Gassi mit dem Hund:-)
Hallo,
ich habe beim Lesen wieder so lachen müssen. Marietta Herzberger trifft genau den Punkt, auf den es bei den Geschichten ankommt.
!!! Herrlich !!!
GruÃ
M.
Na, mein Mann natürlich